OSTIV-Seminar

14.-18. Dezember 2001, in Mafikeng, Südafrika

Als Parallelveranstaltung zur Weltmeisterschaft hätte es ja traditionellerweise ein OSTIV-Kongress werden sollen, mit honorigen Eröffnungsreden, Preisverleihungen und dem gewohnten formalen Charakter. Präsident Loek Boermans stand aufgrund der geringen Anzahl der eingereichten Vorträge jedoch schon im Vorfeld vor der Entscheidung: absagen, verschieben bis zur nächsten WM in Rieti oder was sonst?

Seine Entscheidung: um die Partnerschaft zwischen Sport und Wissenschaft im Segelflug aufrecht zu halten, machen wir einfach ein Seminar. Diese Entscheidung war, im Rückblick betrachtet, ein Volltreffer.

Viele junge Wissenschafter aus dem Gastland nutzten die einmalige Chance, ihre Forschungsergebnisse einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren. Begünstigt durch den informellen Seminarcharakter war der Gedanken und Erfahrungsaustausch intensiv und spannend wie nie zuvor. Spannend durch die Gegensätze: Junge und Alte, Praktiker und Theoretiker, Naturverbundene und Computerbesessene, Wissbegierige und Erfahrene, Realisten und Visionäre - und alle diskutierten in einer sehr freundschaftlichen und offenen Weise.

Diese vielen wertvollen Gedankenimpulse, die dabei entstanden, lassen sich nicht umfassend wiedergeben.

In meiner subjektiven Rückschau möchte ich einige highlights herausheben, die vielleicht von allgemeinem Interesse für Piloten sind.

Lufttüchtigkeit

Wie lange leben Kunststoffflugzeuge ? Christoph Kensche hat eine Berechnungsmethode zur Lebensdauervorhersage für Rotorblätter von Windkraftwerken entwickelt. Als Segelflieger war ihm rasch klar, dass sich dieses Verfahren auch für Faserverbundsysteme in Segelflugzeugen anwenden läßt. Bei einem Sicherheitsfaktor von 3,6 und extremer Belastung ergeben das unglaubliche 100.000 Stunden. Da die OSTIV einen guten Einfluss auf die Lufttüchtigkeitsanforderungen hat, will man bei den Behörden die derzeitige Grenze von 12.000Stunden auf 50.0000 Stunden durchsetzen. Bei durchschnittlich 500 Flugstunden jährlich wären das dann 100 Jahre!

Zum Thema Lufttüchtigkeit hat Gerhard Waibel einen weiteren interessanten Beitrag präsentiert. Die Kriterien für die Lufttüchtigkeitsstandards von Segelflugzeugen, sowie ULs und Leichtsegelflugzeugen sollten, wie in der Verkehrsluftfahrt üblich, erweitert werden. Neben den bekannten Böenkriterien +/- 15 m/s für den grünen bzw. +/- 7,5 m/s für den gelben Fahrtmesserbereich fehlen da noch Festigkeits- und Steifigkeitswerte für Cockpits, die Berücksichtigung von betrieblichen Erfahrungswerten oder wetterbedingte Umwelteinflüsse, wie z.B. Gewitter. Wie aktuell und ernst dieses Thema ist ? Fast gleichzeitig wurde Steven Raimonds Flugzeug beim Wettbewerb vom Blitz getroffen; glücklicherweise entstand nur geringer Sachschaden am Leitwerk, der Pilot blieb unverletzt.

Aerodynamik

Trotz der guten Leistungen ist es nicht selbstverständlich, dass Laminarprofile für turbulente Luft geeignet sind. Es stimmen auch die Windkanalergebnisse mit den Werten wie sie tatsächlich erreicht werden, nicht immer überein. Bei genauerer Betrachtung wurde offensichtlich, dass man das Turbulenzspektrum der Atmosphäre in diesem Grenzbereich überhaupt nicht kennt. Um hier Leistungsverbesserungen mit Grenzschichtabsaugungen und Turbulatoren voranzutreiben, ist zuerst diese meteorologische Wissenslücke zu schließen.

Flugzeugentwicklungen

Wird bei der nächsten WM ein neues 18m-Flugzeug, die JS 1 aus Südafrika, am Start stehen? Ein ehrgeiziges Team der Akaflieg aus Pretoria hat sich zum Ziel gesetzt, bis ins kleinste Detail alles zu optimieren was denkbar ist. Dazu wurde ein Simultionsmodell zur Steuerung, ein Programm zum Fräsen der Mulden mit hoher Oberflächengüte und natürlich das aerodynamische Design entwickelt. Wir dürfen gespannt sein, wie diese JS1 die Wettbewerbsszene in der jungen FAI-Klasse bereichern wird.

Eine ganz andere Zielgruppe will John Edgley aus UK mit seiner "Optimist" ansprechen. Es handelt sich dabei um einen preiswerten Kitbau im Leistungsspektrum der Clubklasse, überwiegend gebaut aus einem Sandwichmaterial , das sonst für Fußböden bei Airlinern verwendet wird. Die geringe Flächenbelastung soll vor allem bei schwacher Thermik den Flugzeugnamen rechtfertigen.

Starten und Landen wie ein Vogel. Das ist für das Team um R. Huyssen, Universität Pretoria, der Traum vom Fliegen. Der beste Segler in der Natur, der Wanderalbatros, lateinisch Exulans, war dazu das Vorbild. In einer faszinierenden Symbiose aus modernster Technik, Technologie, aerodynamischen Berechnungen und feinsinniger Naturbeobachtung wird hier eine neue Spezies von Luftfahrzeug geboren. Besondere Merkmale: kein Leitwerk, bewegliche Knickflügel und Landung durch dynamisches Überziehen in Verbindung mit einer speziell entwickelten Sicherheitszelle, sicher und kurz wie ein Vogel. Mit wissenschaftlicher Akribie, Ausdauer und Ehrgeiz wurde die Natur perfekt kopiert. Bleibt zu hoffen, dass dieser innovative Exulans abhebt, bevor die finanziellen Grenzen erreicht werden.

In eine völlig andere Richtung ging da der Vortrag von Ingo Renner mit dem Titel " Warum nicht ein Jet-Triebwerk" ? In Australien erlebt gerade die vor etwa 20 Jahren in Italien geborene Idee eine Renaissance. Der Caproni-Calif wurde mit einem neuen Jettriebwerk ausgerüstet, das nach Aussage von Ingo zuverlässiger und einfacher im Betrieb ist, als die derzeitigen Kolbentriebwerke. In der anschließenden Diskussion wurden Zweifel angemeldet, ob sich dieser Antrieb für Segelflugzeuge durchsetzen wird, allein schon wegen des Lärms.

ULs als Schleppflugzeuge

Didier Breyne, ein junger Flugzeugkonstrukteur aus Belgien, hat sich zum Ziel gesetzt, das beste Schleppflugzeug zu bauen. Konsequent hat er zuerst alle schlepprelevanten (68!) Faktoren zusammengestellt. Ein Kostenvergleich der derzeit verwendeten Schleppflugzeuge zeigt sehr deutlich, dass die ULs wesentlich günstiger im Vergleich zu Motorseglern und Motorflugzeugen abschneiden. Das Konzept, ein UL speziell für den Schleppbetrieb zu optimieren, lag damit auf der Hand. So könnte seine erste Version AT01-R schon im nächsten Jahr Segelflugzeuge bis 650kp mit 4m/s Steigen hochschleppen, und das zu 30-50% geringeren Kosten. Neben diesem technischen und wirtschaftlichen Aspekt wäre das Flugzeug auch für Schulung und im Vereinsbetrieb geeignet. Allein schon aus ökologischer Sicht ist zu hoffen, dass dieses optimierte Schleppflugzeug auf den Markt kommt (mehr dazu unter www.aero-tech.de).

Sauerstoff schon unter 3000m ?

Bob Henderson, Neuseeland, hat in seiner Diplomarbeit die Auswirkungen des Sauerstoffmangels auf die Entscheidungsfähigkeit untersucht. Die Sauerstoffsättigung im Blut lag bei den getesteten Militärpiloten bei durchschnittlich 92% in 3000m, in 4000m variierten die Werte zwischen 75% und knapp 90%. Interessant, wie unterschiedlich sich dies auf die jeweilige Aufgabenstellung auswirkt. Bei antrainierten Verfahren, wie z.B. einem ILS-Anflug, zeigte sich keine Leistungsabnahme. Nicht so bei den Aufgaben, wo Entscheidungen zu treffen waren. Hier zeigte sich eine Zunahme der Fehlerquote schon deutlich unter 3000m. Fazit: Nur Leistungssegelflieger, die schon unter 3000m den Sauerstoffhahn aufdrehen, werden ihr volles Entscheidungspotential ausschöpfen.

Flugtaktik

Die AAT (Assigned Area Task) Aufgaben, wo der Pilot selbst innerhalb einer vorgegebenen Fläche und eines Zeitfensters seine optimale Strecke finden muss, sind neben der flugsportlichen Aufgabe ebenso eine mathematische Herausforderung. Dafür wurde ein Computermodell vorgestellt. Der Pilot gibt die Länge der Tagsaufgabe ein, den Tagesverlauf der vorhergesagten Thermikstärke und bekommt als Ergebnis die optimale Abflugzeit. Hier stellt sich die Frage, in welche Richtung entwickelt sich die Wettbewerbsphilosophie ? Welche "skills" werden in Zukunft gefragt ?

Dazu auch ein Beitrag von O.Liechti. Sollte in Zukunft bei dezentralen Wettbewerben auch die Einschätzung des Wetters belohnt werden ? Nicht im Gegensatz zum gegenwärtigen Trend des freien Fliegens, wie sich das im Online-contest ja hervorragend bewährt. Vielmehr in Ergänzung dazu schlägt er vor, die beabsichtigte Flugdistanz (nicht die genauen Wendepunkte) vor dem Start im Internet zu deklarieren. Das könnte das öffentliche Interesse ankurbeln und den Wettbewerbsgeist beflügeln. Ja und die angesagte Distanz, sprich Beurteilung des Wetters, könnte mit einem 10% Bonus belohnt werden. Damit zum letzten Thema.

Meteorologie

Die WM war für den südafrikanischen Wetterdienst eine günstige Gelegenheit, bleibende Werte zu schaffen. So wurden 18 neue automatische Wetterstationen in dem dünn besiedelten Land errichtet. Das Besondere dabei: die meteorologischen Messdaten sind als SMS über Mobiltelefone abrufbar. Damit soll nach der WM die Landwirtschaft von besseren Prognosen profitieren. Z.B. bei der Gewittervorhersage. Bei fast senkrechter Sonneneinstrahlung kocht hier die Atmosphäre ja wie ein Topf auf der heißen Herdplatte. Um diese extremen Gewitter zu erfassen wären mehr Radiosondenaufstiege erforderlich, die sind für das Land jedoch zu kostspielig. Innovative Alternative: die Radiosonden-Sensoren werden auf ein Modellflugzeug geklebt und schon steht für das Briefing eine lokale Sondierung zur Verfügung. Die verbesserte Variante: zum Hochschleppen eines Modellsegelflugzeuges wird ein Wetterballon verwendet. Nach dem Ausklinken kehrt das Flugzeug GPS-gesteuert vollautomatisch mit den Messgeräten zurück. Für die meteorologische Betreuung von Wettbewerben ein interessante Variante.

Prof. Hindman, USA, mit langjähriger Forschungserfahrung im Himalajagebiet, will es genau wissen: kommt man rein thermisch bis zum Gipfel des Mt. Everest? 45grad Taupunktdifferenz, eine Auslösetemperatur von 20grad in 4500m auf der Hochebene im Tibet und wenig Wind sind die berechneten Voraussetzungen. Ein sehr seltenes Ereignis nach der Statistik, aber es ist nicht ganz unmöglich, dass Edward eines Tages seinen Kreis über dem höchsten Berg der Welt zieht...

Mit diesem Beitrag ging dieses Ostiv-Seminar zu Ende. Und beim abschließenden gemütlichen Ausklang wurde allen Teilnehmern bewusst, mit diesem Ereignis wurde die OSTIV einmal mehr dem Ruf gerecht, sie sei das Rückrat der Segelflugentwicklung.

Hermann Trimmel

Wer mehr über die einzelnen Beiträge wissen möchte, findet in den nächsten Ausgaben des Technical Soaring die ungekürzten Vorträge. Diese Fachzeitschrift erscheint vierteljährlich und ist im Mitgliedsbeitrag der OSTIV inbegriffen.

Mehr dazu über das

OSTIV-Sekretariat c/o TU-Delft, Fac.Aerospace Engineering

Klyverweg 1 NL 2629 HS-elft, The Netherlands

Email: ostiv@lr.tudelft.nl


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